Samstag, 18. Mai 2019

Eurovision Song Contest 2019: Das traditionelle Trinkspiel und der Stimmzettel für die Sofa-Jury

In knapp vier Stunden ist es wieder so weit, in Tel Aviv findet der 64. Eurovision Song Contest  (früher im deutschen Sprachraum oftmals frankophiler als Grand Prix Eurovision de la Chanson bekannt) statt – eines der größten Showspektakel der Welt, das alljährlich höchst interessante Einblicke in die Befindlichkeiten und Geschmäcker unseres vielfältigen Kontinents bietet. In diesem Jahr gibt es unter anderem isländischen Lederlärm, durch die Luft schwingende Australierinnen und weißrussischen Stusspop, der Britney Spears schon 2005 zu altmodisch gewesen wäre zu bestaunen.

Auch dieses Jahr bietet adlerkuss natürlich wieder über Mediafire zum direkten Download sowohl eine Wertungstafel für die Stimmabgabe der heimischen Sofa-Jury als auch das beliebte , feuchtfröhliche adlerkuss-ESC-Trinkspiel fürs heimische Sofa. 6681 Trunkenbolde, die das Trinkspiel in den letzten sieben Jahren bereits runtergeladen haben, können ja nicht irren!

Und für die Wartezeit bis es endlich losgeht eignet sich neben der urkomischen Eurosong-Episode der irischen Sitcom Father Ted auch dieses Interview mit dem deutschen Mr. Eurovision Peter Urban, der seit 1997 alljährlich für Deutschland den Eurovision Song Contest kommentiert.

Hier noch der schönste Song der beiden Halbfinals, der es leider nicht ins heutige Finale geschafft hat. Sehr schade um den coolen Beat und die fokloristischen Elemente. Spätestens wenn ihr heute Abend San Marino hört, werdet auch ihr euch wundern, warum zum Teufel es für Polen nicht gereicht hat.




Top 10 der besten Lieder beim Eurovision Song Contest: Die 90er Jahre (Platz 5-1)

Bevor es in einigen Stunden in Tel Aviv losgeht, hier noch der Rückblick auf die fünf besten Songs bei den 10 Eurovision Song Contests der Neunziger Jahre.

5. Danijela Martinović - Neka mi ne svane

1998 in Birmingham glänzte Danijela Martinović mit einer einer besonders schönen Variante des klassischen ESC-Subgenres der traurigen und gerne auch mal kitschigen Liebesballade vom Balkan. Und als wenn der Song nicht bereits anrührend genug wäre, verwandelt Danijela ihre Performance auch noch in eine Miniaturinszenierung des Andersenmärchens vom hässlichen Entchen: Zum zweiten Refrain reißt sie sich mit dramatischer Geste und unter dem Jubel des Publikums das schwarze Mäntelchen vom Leib und schmettert den Song als strahlend weißer Schwan zuende. Hach!



4. Linda Martin - Why me?

Die irische Dominanz beim Eurovision Song Contest begann 1992 in Malmö. Johnny Logan, der als Interpret ja in den 1980er Jahren bereits zweimal den Wettbewerb gewinnen konnte (und gar bei adlerkuss damit auf Platz 5 und Platz 1 der besten ESC-Songs der 80er gelandet war), war der Songwriter für Interpretin Linda Martin, die den nur textlich vor mangelndem Selbstbewusstsein strotzenden Schmachtfetzen mit genug Inbrunst vortrug, um die nationalen Jurys zu überzeugen. Johnny Logan selbst reduzierte dann das Pathos in seiner eigenen, ebenfalls sehr schönen Version von 2001 deutlich.



3. George Nussbaumer - Weils da guat got

1996 in Oslo gewann wenig überraschend Irland. Durchaus überraschend und erfrischend war hingegen der österreichische Beitrag zum ESC: George Nussbaumers Gospel-Groove "Weils da guat got" geht gleichermaßen ins Herz wie ins Bein und muss neben "Vo Mello bis ge Schoppornou" als bester Song aller Zeiten in Vorarlbergerischem Dialekt gelten. Nicht nur weil auch George Nussbaumer blind ist erinnert der Song mit seinem unglaublich mitreißenden Backgroundchor an Ray Charles' größte Hits. Ach wäre es nur allgemein gültig so, wie der deutsche Kommentator zum Ende des Songs hier im Video behauptet: "So sind sie, die Österreicher..."



2. Guildo Horn - Guildo hat euch lieb

Guildo Horn, Speerspitze des halbironischen Schlagerrevivals in Deutschland gegen Ende der 90er Jahre blies in drei Minuten voller Bühnenpräsenz und schweißtreibender Intensität den Muff von fast 40 Jahren vom ESC und verhalf mit seinem von Stefan Raab geschriebenen Beitrag zum Eurovision Song Contest 1998 dem Event in Deutschland ungeahnte neue Popularität. Auch Europa konnte dem durchgeknallten Charme der selbsterklärten "singenden Nussecke" kaum  widerstehen und wählte Guildo am Ende auf Platz 7. Rückblickend könnten sich die Songzeilen auch auf Guildos Auftritt von 1998 beziehen: "Es gab eine Zeit / eine Zeit voller Zärtlichkeit / da wurden knutschen und knuddeln und lieben / immer groß geschrieben." 



1. Toto Cotugno – Insieme 1992

Der Eurovision Song Contest 1990 in Zagreb ist - ein halbes Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer - wie kaum ein anderer aufgeladen mit politischer Botschaft und teils anrührend naiver Hoffnung auf ein zusammenwachsendes Europa in Friede, Freiheit und Einigkeit. Die musikalisch mit weitem Abstand beste Auseinandersetzung mit der Thematik gelang dabei dem Italiener Toto Cotugno, dessen mitreßender Italo-Pop-Song  "Insieme 1992" sich im Titel auf die eben 1992 anstehende Gründung der Europäischen Union bezog. Fast beschwörend möchte man knapp dreißig Jahre später dem Kontinent angesichts des Brexit-Debakels und nationalistischer Tendenzen in vielen Mitgliedsstaaten Cotugnos englischsprachige Refrainzeile entgegen schmettern: "Unite unite Europe!"



Top 10 der besten Lieder beim Eurovision Song Contest: Die 90er Jahre (Platz 10-6)

Im Vorjahr blickte adlerkuss auf die neonfarbenen 80er Jahre beim Eurovision Song Contest zurück, nun ist das nächste Jahrzehnt an der Reihe. Die 90er Jahre brachten dem matt, träge und hoffnungslos altmodisch gewordenen Wettbewerb zumindest in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts diverse Reformen: das Landessprachegebot fiel und die Zuschauerabstimmung per Telefonanruf ersetzte die Landesjurys. Irland siegte zwischen 1992 und 1996 spektakuläre vier Mal und prägte mit eher balladeskem Plätschersound auch den Charakter der Beiträge. Kaum zu glauben, dass dies das Jahrzehnt des Eurodance gewesen war. Nach vollständiger Betrachtung aller zehn Wettbewerbe des Jahrzehnts in den letzten zehn Tagen (dauerhafte Schäden schließe ich nicht aus) hier Platz 10 bis 6 der gnadenlos subjektiven Top 10 der besten Lieder beim Eurovision Song Contest in den 1990er Jahren.

10. Aud Wilken - Fra Mols til Skagen

Dänemark erreichte 1995 in Dublin (wo sonst) mit einer rhythmisch spannenden und sehr atmosphärischen Ballade den fünften Platz. Geschrieben wurde der Song von Lise Cabble, die achtzehn Jahre später das Siegerlied "Only Teardrops" für Emmelie de Forest verfassen würde. Aud Wilken richtet sich im Text an ihren Geliebten und berichtet ihm, dass sie ihn von Mols bis Skagen vermisst. Selbst innerhalb Dänemarks ist das jetzt keine allzu signifikante Distanz und entspricht circa einer wenig spektakulären Beteuerung à la: "Ich vermisse dich von München bis Stuttgart." Über solch schwache Metaphorik kann der große Hase, der den kleinen Hasen ja bekanntlich bis zum Mond und wieder zurück liebt, nur schmunzeln.




9. Paul Harrington & Charlie McGettigan - Rock'n'Roll Kids

Mit der sentimental-nostalgischen Ballade für Klavier und Gitarre, die der erste Song der Eurovision-Geschichte war, der auf das begleitende Orchester komplett verzichtete, holte sich Irland 1994 in Dublin (wo sonst) den Hattrick und siegte das dritte Mal in Folge. Wie es Männer Mitte 40 eben so tun, trauern Paul und Charlie im Liedtext ihrer Jugend hinterher, als sie gerne Rock'n'Roll hörten und auch selbst rockten und rollten. In der letzten Strophe wird dann der Bezug zur Gegenwart dargestellt, in der natürlich alles anders ist und man selbst seine besten Freunde aus den Augen verloren hat. Hach ja. 




8. Justyna Steczkowska – Sama

Der polnische Beitrag zum Eurovision Song Contest 1995 in Dublin (wo sonst) ist für den Wettbewerb sehr ungewohnte Kost. Je nach Sichtweise wissen die avantgardistisch atonale Flöteninstrumentierung und die mystisch traurige Atmosphäre des Songs entweder zu verschrecken oder zu begeistern.  Björk dürfte auf dem heimischen Sofa in Reykjavik durchaus angetan gewesen sein, der Rest Europas war verschreckt und Justyna blieb mit diesem mutigen Kleinod eines Songs nur der 18. Platz.




7. Kali - Monté la riviè

Ganz und gar außereuropäisch karibische Klänge brachte Frankreich mit zum Eurovision Song Contest 1992 in Malmö. Auf Antillen-Kreolisch groovt sich der auch als politischer Songwriter bekannte Kali durch das haitianisch anmutende Lied und beschreibt die Reise auf dem titelgebenden Fluss des Lebens.




6. Secret Garden - Nocturne

Nachdem Irland 1992 bis 1994 tatsächlich den Hattrick geschafft hatte, siegte 1995 in Dublin (wo sonst) ein norwegischer Ethno-Folk-Titel mit dem bis dato kürzesten Text aller Eurovisiongewinner. Es werden nur 24 Wörter gesungen und die restliche Laufzeit dominiert ein durchaus leicht irisch-folkloristisch klingendes Geigensolo - zur Sicherheit auch gleich gespielt von einer irischen Violinistin. Zauberhaft!