Natürlich ist das Jahresende für Jahresrückblicke schon viel zu lange her, aber dank des fortgesetzten Lockdowns und weiterhin Corona als einzig bestimmendem Thema fühlt es sich doch quasi so an, als hätte 2020 noch nicht einmal aufgehört. Außerdem möchte ich mir hier einfach - und sei es nur zur künftigen Analyse der autobiografischen Kulturgeschichte - einige der Höhepunkte des denkwürdigen Jahres 2020 in den Blog kleben. Los geht es mit den besten Liedern des Vorjahrs, ausgewählt sind die Songs jedoch mit dem Vorbehalt, keine Lieder zu verwenden, die auf einem der meiner bescheidenen Meinung nach zehn besten Alben des Jahres zu finden sind. Mithilfe dieser nerdigen Spielregel ist es deutlich leichter, versteckte Perlen und Einzelveröffentlichungen zu ihrer wohlverdienten Erwähnung kommen zu lassen. Alle zehn Songs gibt es auch hier als Spotify-Playlist.
10. The Weeknd: Save Your Tears
Ja ja, die blendenden Lichter waren natürlich der absolute Überhit des Jahres, auf den sich absolut jeder vom tiktok-Teen bis zum Antenne-Bayern-Mitwipper einigen konnte. Der beste Song auf The Weeknds eigentlich bereits 2019 erschienenem vierten Album "After Hours" ist jedoch der Retro-Synthie-Hit "Save Your Tears", der gekonnt die Soundwelten von Depeche Mode und Wham! miteinander vermählt.
8. Fenne Lily: I Used to Hate My Body But Now I Just Hate You
Bedroom Pop nennt man die verträumte, verhaucht introspektive Art der Folkmusik irgendwo zwischen Billie Eilish und Phoebe Bridgers heutzutage wohl. Und nun ja, das Label passt wie das Kopfkissen aufs dunkel umrandete Auge zur Britin Fenne Lily, die 2020 ihr zweites Album veröffentlicht hat, dessen Glanzstück dieser ebenso verletzliche wie abgeklärte Breakup-Song darstellt.
Nachdem sie mit "Die Unendlichkeit" das beste Album 2018 veröffentlicht hatten, stand im letzten Jahr für Tocotronic die große Werkschau mit dem für das Jahr 2020 dann unselig prophetischen Titel "Sag alles ab" an. Der einzig neue Song auf der Kompilation wurde, obwohl der Text längst zuvor fertig gestellt war, als Hoffnungsschimmerhymne in der Trostlosigkeit des ersten Corona-Shutdowns vorzeitig veröffentlich und bietet, wie es im geraunten Text (samt Nino-de-Angelo-Pastiche) heißt ein kleines Stück Lyrics and Music gegen die Vereinzelung.
4. Michael Stipe & Big Red Machine: No Time For Love Like Now
Quasi wie eine amerikanische Version von Tocotronics "Hoffnung" bekam auch im Fall von Michael Stipes Supergroup-Kollaboration mit einer Komposition von Aaron Dessner von The National und Bon Iver Justin Vernon ein älterer Text durch die Corona-Pandemie zusätzliche Tiefe und Resonanz. Und mal ehrlich, dass Michael Stipe 2019 eine Zeile wie the lockdown memories can’t sustain schrieb, kann ja eigentlich nur Vorsehung gewesen sein. Dieses düsterer Pendant zum Evergreen "What the World Needs Now is Love" lässt nicht nur dank Michael Stipes unverkennbarem Timbre an lang vergangene Großtaten von R.E.M. zurückdenken.
3. Danger Dan: Nudeln und Klopapier
Der ultimative Corona-Lockdown-Hit des Jahres 2020 war die traurigschöne Pianoballade "Nudeln und Klopapier", entstanden während einer 14-tägigen Quarantäne im Heimstudio von Danger Dan, seines Zeichens hauptamtlich Rapper bei der Antilopen Gang. In den Lyrics treffen Komik und Melancholie und damit die unstete Gefühlslage aus dem von irritierenden Hamsterkäufen mitgeprägten Coronafrühjahr 2020 unmittelbar aufeinander und münden in der wunderbarsten Liebeserklärung, die 2020 möglich war: Jedes Blatt Klopapier auf dieser Welt, Cannelloni, Makkaroni, Spaghetti, Spirelli & Co., würd ich geben, würd ich geben, für ein Ende der Quarantäne, für einen Frühlingsspaziergang mit dir durch den Berliner Zoo.
2. Liam Gallagher: All You're Dreaming Of
Wie es Bing Crosby nicht sentimentaler hätte hinbekommen können, veröffentlichte Liam Gallagher im Dezember eine völlig ironiefreie, unverschämt kitschige Ballade zur Weihnachtszeit, die nur die zynischsten Grinchs völlig kalt lassen konnte. Gallaghers seit ein paar Jahren triumphal erholte Stimme und natürlich Streicher, Hörner und Chor umschmeicheln die Gehörgänge und erwärmen die Herzen. All that you're dreaming of.
1. Gorillaz feat. slowthai & Slaves: Momentary Bliss
Mit der ersten Veröffentlichung ihrer als bunte Jukebox angelegten "Song Machine" (die später im Jahr doch noch ganz konservativ als Album rauskommen sollte) im Januar legten die vier Comicfiguren um Damon Albarn wie so oft einen genresprengenden Song vor, der auch und vor allem dank der großartigen Features von Slaves und slowthai gleichzeitig experimentell Britpop, Ska, Punk und Grime-Rap vereint und dabei unverschämt eingängig und zum wilden Abzappeln einladend ist. Und wem das nicht gefällt, dem kann man nur die Hookline des Songs entgegenschleudern: It makes me sick to think you ain't happy in your skin!
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